Temuco

Temuco

Bei den Schwestern vom heiligen Kreuz

Temuco ist keine besonders touristische Stadt. Aber wir wollen auch weniger die Stadt sehen als mehr ein paar Besuche zu machen.

Zum einen möchten wir Ivan und Dani wiedersehen. Die beiden haben wir vor drei Jahren in Punta Arenas kennen gelernt und uns mit ihnen angefreundet. Während der ganzen Zeit haben wir immer wieder Kontakt gehabt und daher auch mitbekommen, dass sie vor zwei Jahren von Punta Arenas nach Temuco gezogen sind.

Außerdem möchten wir meine Tante besuchen. Beziehungsweise ihr Grab. Sie ist vor ungefähr siebzig Jahren in den Orden der Schwestern des heiligen Kreuzes eingetreten und von Altötting aus nach einiger Zeit nach Chile gekommen um in der Mission zu arbeiten. Nach verschiedenen Stationen in Chile hat sie letztlich ihren „Ruhestand“ sofern man den als Ordensschwester hat, in einem Haus der Schwestern in Temuco verbracht und ist hier auch vor fünfzehn Jahren gestorben.

Bevor wir nach Temuco kommen versuche ich also schon mal rauszufinden wo genau sie eigentlich gelebt hat. Es gibt eine alte Adresse und eine Telefonnummer. Nach etwas Internetrecherche finde ich auch eine Seite des Ordens. Die Hermanas de la Santa Cruz wie die Schwestern des heiligen Kreuzes hier übersetzt heißen haben eine Homepage und jeweils einen Acount bei den beiden großen Seiten des Herrn Zuckerberg. Alle drei sind zwar nicht besonders aktuell, aber schließlich erreichen wir per Telefon eine Dame der Delphine erklären kann was unser Anliegen ist. Wir sollen entweder morgen, Donnerstag, gegen Mittag oder am Montag kommen. Wir entscheiden es gleich morgen zu versuchen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Villarrica, dem Ort, fahren wir also noch ein Stück weiter bis kurz vor Temuco und finden einen ruhigen Übernachtungsplatz im Zentrum eines kleinen Dorfes vor Temuco.

Ich habe meine Tante nicht besonders gut gekannt. Sie ist alle paar Jahre auf Heimaturlaub in Deutschland gewesen. Das letzte Mal vor über dreißig Jahren und so haben wir uns nicht allzu oft gesehen. Trotzdem möchte ich gerne sehen wo sie gelebt hat und wo ihr Grab ist. Ich bin auch wahrscheinlich der erste Angehörige der Familie Völtl der nach Chile kommt.

Als wir in Richtung des Ordenshauses fahren bin ich dann schon auch etwas aufgeregt. Wir haben keine Ahnung was uns erwartet und was genau die Schwestern hier eigentlich machen. Am Empfang begrüßt uns eine Dame die uns bittet kurz zu warten. Die Schwestern sind gerade im Gottesdienst.

Nach kurzer Zeit kommt sie mit einer alten, sehr rüstigen Schwester die uns auf Deutsch anspricht. Ob wir am Rest des Gottesdienstes teilnehmen wollen? Ja, das machen wir. Während des Gottesdienstes wird in den Reihen vor uns zwischen den Schwestern schon getuschelt. Die eine oder andere dreht sich auch immer wieder mal kurz um und schaut zu uns.

Nach dem Gottesdienst kommt Schwester Theresa zu uns. Sie kann sich noch an Schwester Reinberta erinnern. So hat sich meine Tante, die eigentlich Rosa hieß bei ihrem Eintritt in den Orden genannt. Sie erzählt ein bisschen und dann fragt sie, ob wir nicht einfach zum Mittagessen mitkommen wollen. Wir lassen uns gerne einladen und so führt sich uns durch das Gebäude in den Speisesaal in dem bereits einige anderen Schwestern an den Tischen sitzen. Sie sind vielleicht noch knapp zwanzig hier. Früher waren sie mal über 350 Schwestern in Südamerika, aber der Nachwuchs ist irgendwann ausgeblieben. Die jüngst der Schwestern dürfte auch schon im Rentenalter sein, die älteste hat letztes Jahr ihren hundertsten Geburtstag gefeiert und ist immer noch sehr gut zu Fuß unterwegs und sehr nett.

Wir erfahren einiges über das Leben der Mädels hier und auch von meiner Tante wissen sie noch das eine oder andere zu erzählen. Zum Geburtstag hat sie sich immer einen Lammbraten und ein gutes Gläschen Wein gewünscht. Und im Ruhestand hat sie einen kleinen Garten hier gehabt in dem sie Gemüse angebaut hat. Sie war eben die Schwester meines Vaters. Gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich da schon erkennen.

Nach dem Mittagessen gehen wir mit Schwester Hyacintha und Schwester Theresa zum Friedhof. Der liegt schön am Waldrand und bei gutem Wetter kann man sogar den Villarrica von hieraus sehen. An ihrem Grab steht ein einfaches Kreuz mit ihrem Namensschild und Schwester Theresa hat noch einen schönen Blumenstrauß mitgebracht den wir ihr hinstellen, nachdem Theresa und Delphine das Grab ein bisschen aufgeräumt haben.

Wir machen noch ein paar Bilder vom Grab und der Umgebung, auch für den Rest meiner Familie in Deutschland und dann gehen wir zurück zum Ordenshaus und verabschieden uns von den beiden sehr netten Schwestern.

Für Delphine und mich war das ein Ausflug in eine ganz andere Welt. Die Schwestern waren sehr liebe und fröhliche Frauen die hier in einer scheinbar ziemlich netten Gemeinschaft leben. Natürlich haben sie ein komplett anderes Weltbild als wir, aber es waren ein paar sehr schöne und interessante Stunden für uns. Und für mich war es sehr schön meine Tante hier in gewisser Weise noch besuchen zu können und zu sehen wo sie gelebt hat und begraben ist. Außerdem ist es auch für den Rest der Familie in Deutschland schön nach vielen Jahren nochmal ein paar Bilder ihrer letzten Heimat zu sehen.

Zu Besuch bei Ivan und Dani

Aber jetzt geht es weiter zu Ivan und Dani. Die beiden wohnen im Zentrum von Temuco in einem kleinen Häuschen das sie gemietet haben. Bei uns würde man das als Tiny-Haus bezeichnen, hier ist es ein ganz normales Wohnhaus. Eingeschossig ohne Keller, sehr einfache Holzbauweise, kaum wärmegedämmt und Schallschutz ist eh kein Thema. Und der Grundriss dieses 25 m² Häuschens ist so ungeschickt aufgeteilt, dass selbst ich als einfacher Ingenieur viel bessere Möglichkeiten planen könnte so ineffizient ist die Fläche genutzt.

Aber trotzdem sind die beiden froh, hier eine Unterkunft gefunden zu haben die halbwegs zahlbar ist. Die Miete beträgt umgerechnet ungefähr zweihundert Euro. Nicht viel, aber mit einem Einkommen von etwa 450 Euro im Monat – sofern man überhaupt einen Job hat, ist das auch einen Menge Geld. Aktuell hat Dani einen Job und Ivan nicht. Sie sind beide sehr clevere Menschen, haben studiert und durchaus schon Berufserfahrung, aber das alles reicht in Chile, dem Land des ungebremsten Hardcore Kapitalismus nicht aus um mehr als den Mindestlohn zu verdienen. Dafür braucht man entweder gute Beziehungen oder ein sehr, sehr großes Selbstbewusstsein. Trotzdem kommen die beiden über die Runden. Irgendwie. Eine bessere Zukunft wünschen sie sich, aber ob und wann die kommt hängt unter anderem davon ab wohin der politische Weg Chiles die nächsten Jahre steuert.

Als wir die beiden vor drei Jahren kennengelernt haben waren sie sehr optimistisch für die Zukunft Chiles. Die Studentenproteste hatten damals einiges in Bewegung gebracht und die Abstimmung über die neue Verfassung war geplant. Inzwischen wurde für eine neue Verfassung gestimmt, eine der modernsten Verfassungen der Welt entworfen und gnadenlos wieder niedergemacht. Zu viele soziale Gedanken, zu viele Rechte für die Ureinwohner Chiles, zu viele für die Armen, zu viele Rechte für Transsexuelle…Es waren einfach zu viele Dinge mit denen viele Menschen scheinbar schlicht überfordert waren. Dani und Ivan hoffen weiterhin auf eine gute Zukunft, aber die politische Rechte gewinnt wohl gerade wieder deutlich mehr an Einfluss und ob ihre Zukunft daher in Chile stattfinden wird ist nicht mehr so sicher. Sie schmieden auch einige Auswanderungspläne falls Chile keine Möglichkeiten für sie bietet. Aber eigentlich lieben sie ihr Land und möchten hierbleiben.

Das klingt alles etwas hoffnungs- und perspektivlos, aber so ist es auch nicht. Die beiden sind auch sehr happy mit dem was sie hier gerade haben und zeigen uns die nächsten Tage einiges von Temuco. Eine typische chilenische Stadt mit einem spannenden Markt, auf dem man die Dinge des täglichen Lebens deutlich günstiger bekommt als im Supermarkt. Man muss nur wissen wo genau. Obst und Gemüse in allen Varianten, Fisch, Fleisch, handgemachte Haushaltsgegenstände und Schmuck. Ivan führt uns über den Markt und wir lernen was man mit Harina Tostada – getostetem Mehl – macht und kaufen Cochayuyo. Das sind Algen die man getrocknet kauft, dann in Wasser kocht und schließlich kleinschneidet und dünstet oder im Salat isst. Ich finde es erst sehr spannend, nach einem misslungenen Kochversuch eine Woche später verschwinden sie aber wieder von meinem Speiseplan. Delphine war von Anfang an nicht überzeugt.

Wir verbringen das Wochenende mit erzählen, Kochen und Essen bei den beiden und beschließen auch noch am Montag, Delphines Geburtstag, hier zu bleiben. Wir lernen viel über das Leben in Chile und auch über die Ureinwohner von Chile. Ivan hat vor einigen Jahren mit verschiedenen Mapuchegruppen zusammengearbeitet und kann viel von der Kultur und den Traditionen der Mapuche erzählen. Auch deren Sprache beherrscht er teilweise. Und auch von den anderen Stämmen die vor der Ankunft der Europäer in Chile und Argentinien gelebt haben weiß er eine Menge zu erzählen.

Und natürlich lernen wir auch mehr über das Alltagsleben in Chile von den beiden. Was ich besonders interessant finde ist das bereits anfangs erwähnte Haus der beiden. Schlechte Qualität, schlecht gegen Wärmeverlust gedämmt und ein miserabler Grundriss. Geheizt wird mit einem kleinen elektrischen Heizlüfter. Und zwar dann, wenn sie da sind und sich in dem kleinen Wohnbereich aufhalten. Das Schlafzimmer ist natürlich kalt. Einzige Heizung zum Schlafen im Winter ist eine elektrische Heizdecke. Das ist alles in allem sicherlich nicht sehr effizient und wünschenswert, aber ich überschlage grob den Energieverbrauch den die beiden, ähnlich wie viele andere Chilenen ungefähr haben. Trotz der, nach unseren Maßstäben miserablen Bauweise, komme ich auf einen Energieverbrauch, den viele Deutsche so schnell auch mit neuen Heizungen und Elektroautos so bald nicht erreichen werden. Es wird halt nur dann geheizt, wenn es wirklich nötig ist und die Wohnfläche ist im Schnitt entschieden kleiner. Da hilft auch das schönste deutsche Passivhaus nix. Ich bin zwar nach wie vor davon überzeugt, dass anständig gebaute und gedämmt Gebäude Sinn machen, aber vielleicht muss man mal deutlich mehr über die Ansprüche nachdenken die man bei uns so an Wohnkomfort stellt und diese, vor allem im Flächenverbrauch und in der Anforderung das ständig alles geheizt sein muss reduzieren. Temuco hat übrigens im Winter durchaus auch viele Tage mit Schnee und Minustemperaturen.

Wir sind also noch bis Dienstagmorgen in Temuco und feiern am Sonntag schon mal in Delphines Geburstag rein. Der wird dann mit einem guten Essen und einen im Omnia – unserem Campingbackofen – gebackenen Kuchen gefeiert. Am Dienstag früh fahren wir dann weiter in Richtung Sanitago.

Der Abschied fällt nicht leicht. Wir haben die beiden in den paar Tagen nochmal deutlich besser kennen und schätzen gelernt und hoffen, dass sich zumindest ein Teil ihrer Wünsche und Hoffnungen für sie und ihr Land erfüllt.

Aber wollen jetzt nach Santiago um hoffentlich meine Kamera inklusive Objektiv, die in Chiloe ins Meer gefallen sind, und ein Objektiv von Delphine reparieren zu lassen. In ganz Südamerika ist das nur in Santiago, in Buenos Aires und in Rio de Janeiro möglich wurde uns gesagt.

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